Interview mit Annette Schwindt: Nie da und doch dabei

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Annette Schwindt (Foto: Michèle Lichte)

Annette Schwindt ist eine der frühen und deutschlandweit bekannten Fachleute für digitale Kommunikation. Über ihr Blog und ihre Social-Media-Präsenzen führt sie täglich viele verschiedene digitale Gespräche, die Basis ihrer Veröffentlichungen sind, so z.B. dem Bestseller über Facebook im früheren O’Reilly Verlag. Ihre Website www.schwindt-pr.com gehört zu den beliebtesten Fach-Websites für Social Media bzw. Public Relations und kommt auf 3.000-3.500 Views pro Tag.

Annette ist in der Netzgemeinde und weit darüber hinaus als wichtige Figur präsent. Ihre über 6.000 Twitter-Follower und 14.000 Facebook-Fans schätzen ihre Sachkenntnis und Antwortfreudigkeit. Viele hilfesuchende Kommentatoren haben bei ihr bereits ein offenes Ohr gefunden. Wenn es bei Facebook eine Neuerung gibt, ist Annette unter den ersten, die darüber berichten.

Auf einer Medien-Konferenz bekam ich aus den Augenwinkeln mit, dass Annette Schwindt für ihren Vortrag via Skype zugeschaltet war. „Ah, ihr ist wohl etwas dazwischen gekommen“, dachte ich. Mitnichten, erfuhr ich zu meiner Überraschung. Annette Schwindt ist nie „in echt“ da. Sie ist immer zugeschaltet und nur virtuell angewesend. Sie ist chronisch krank und kann aus diesem Grunde nicht reisen. Die re:publica, das Klassentreffen der Blogger- und Netzgemeinschaft, hat sie z.B. nie selbst besuchen können. Dort treffen sich Jahr um Jahr tausende von Onlinern und freuen sich, sich im real life zu treffen. Zur re:publica 2013 hat Annette einen Blogbeitrag geschrieben, in dem sie offen thematisiert, weshalb sie selbst nie dabei sein kann:  http://www.nettesite.com/2013/05/deswegen. Der Artikel wurde zu einem der trendig topics der Konferenz, da ihr über die sozialen Netzwerke zahlreiche Konferenzteilnehmer und auch andere Onliner #winkefotos als Antwort auf den Artikel schickten.

Annette Schwindt ist also präsent, obwohl sie nie körperlich anwesend sein kann.

Wie funktioniert das? Welche Bedeutung haben digitale Medien für sie in dieser Situation? Wie denkt sie über „digitale Identitäten“ – und unterscheidet sie überhaupt zwischen ihrem „digitalen“ und „analogen“ Ich?

Darüber habe ich mit ihr einen Mail-Briefwechsel geführt, den wir hier wiedergeben:

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Liebe Annette,
ich möchte mich mit Dir gerne über Präsenz unterhalten. Du trittst zwar (bis auf den Social Media Chat Bonn, der bei dir um die Ecke stattfindet) öffentlich nie als Person in Erscheinung. Trotzdem kennt Dich jeder und Du bist in der Netzgesellschaft eine präsente Person. Wie kommt das?
Annette:
Ich denke, das hat mit der Art zu tun, wie jemand kommuniziert. Bei mir liegt der Fokus auf Ansprechbarkeit und dem Führen von Gesprächen. Ich beantworte täglich Fragen zum Thema digitale Kommunikation, tausche mich mit Kollegen aus und veröffentliche Artikel zum Thema. Dabei „rede“ ich nicht anders mit den Leuten als wenn ich offline wäre. Dadurch entsteht bei ihnen der Eindruck, ich sei direkt da.
Sabria:
Das ist ein schöner Gedanke. Das bedeutet ja, dass der Eindruck als Person da und anwesend zu sein damit zu tun hat, ob und wie man sich auf ein Gespräch einlässt und ansprechbar ist.

Jemand, der zwar körperlich anwesend, aber im Gespräch innerlich abwesend ist (weil er oder sie vielleicht in Gedanken grade ganz woanders ist), ist dann weniger „da“ als ein aufmerksamer digitaler Gesprächspartner.
In diesem Salon geht es ja um das Thema „digitale Identitäten“. Wie siehst Du das? Unterscheidest Du zwischen Deinem „digitalen“ und Deinem „analogen“ Ich? Sind Deine digitalen Gespräche anders als Deine Face-to-Face-Gespräche?

Annette:
Nein. Wieso auch? Viele Leute, denen ich zuerst online begegnet bin und später offline, bestätigen das übrigens. Manche wundert das, andere finden es ganz normal. Wie war das für Dich? Wir sind uns ja zuerst auch nur online gefolgt. Bei unserem ersten analogen Treffen beim Social Media Chat Bonn hast Du mich gleich erkannt, ich Dich ehrlich gesagt nicht. *schäm* Aber ich war da dank meiner Hochsensiblität auch komplett reizüberflutet. Das war eines der ersten Male, bei denen ich analoge „Fanberührung“ hatte. Mir war vorher überhaupt nicht bewusst, welchen Stellenwert mir die Leute beimessen. Das hat mich regelrecht umgehauen. Für mich war und bin ich einfach bloß ein Mensch, der sich im Web mit anderen austauscht. Für mich ist digitale Kommunikation einfach nur Kommunikation wie jede andere auch. Wenn ich telefoniere oder hier an Dich schreibe, bin ich ja auch nicht jemand anders.
Sabria:
Ja, das ist eine spannende Frage, ob man Menschen offline anhand ihrer Profilbilder und Twitteravatare erkennt. Das hat ja damit zu tun, wie stark man einen Avatar verfremdet. Manche erkennt man sofort auf den ersten Blick, und manche müssen sich erst „outen“. Das ist übrigens auf Konferenzen auch immer wieder ein sehr schöner Moment: Wenn man einander mit bürgerlichem Namen vorgestellt wird und zuerst höflich abwartend reagiert, weil man mit dem bürgerlichen Namen natürlich noch nichts anfangen kann. Und dann erst beim Nennen des Twitternamens leuchten im Kreis die Gesichter in Wiederekennung auf: „Ach, du bist die @zaziemo, der @DrBieber, die @PickiHH – Na klar, wir kennen uns doch schon!“
Diese Art der digitalen und echten Vertrautheit ist vielen bestimmt fremd.
Annette:
Ja, in unserer Filterblase ist das normal, außerhalb davon wirkt es freakig. Es kommt halt darauf an, ob man seine Reputation auf seinen Klarnamen aufbaut oder auf einem nickname wie @furukama oder @meta_blum. Solange man nicht den Klarnamen verschweigt und sein Gesicht versteckt, kann das ja auch zur Marke gehören. Wichtig ist, dass man persönlich und ehrlich kommuniziert.
Schlimmer finde ich, wenn Menschen denken, dass sie online alles dürfen, was sie sich offline verkneifen würden. Das führt dann zu Auswüchsen wie den Hasskommentaren auf Facebook. Offline würden sich diese Leute in der Regel vermutlich anders verhalten. Online gehen ihnen plötzlich jeglicher Anstand und jede Empathie flöten. Dabei erfordert digitale Kommunikation wegen der fehlenden Zusatzinfos wie Mimik, Gestik etc. gerade Fingerspitzengefühl und gesunden Menschenverstand.
Sabria:
Ja, nicht jeder geht mit der Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs verantwortlich um. Sie wollen mitmischen (oder wie Trolls gerne sagen „ihren Senf dazu geben“), aber sich dem Gespräch trotzdem entziehen. Trollsein ist eigentlich auch eine Art der Unfähigkeit zum Gespräch.
Apropos Teilhabe am Gespräch: Enno Park beschreibt ja in seiner schönen Salonvorstellung („Gibt es Sie, Mr. Park?„), dass er erst mit seinem digitalen Implantat in die Lage versetzt wurde, ohne Hürden an gesellschaftlichen und persönlichen Gesprächen teilzunehmen.
Das ist für mich auch die interessante Frage an diesem Streaming-Egos-Projekt über Digitale Identitäten: Wo kann die Technik für uns eine Brücke sein? Eine Brücke sein heißt dann natürlich: Gespräche zwischen Menschen ermöglichen.
Ist in diesem Sinne die digitale Technik nicht auch für Menschen in Deiner Lage eine Brücke?

Annette:
Ja klar. Ich kann mich körperlich kaum anstrengen und bin durch die Hochsensibiltät schnell reizüberflutet. Indem ich zuerst digital mit anderen kommuniziere, kann ich viele potentielle Überforderungsquellen für mich erst mal reduzieren. Wenn ich denjenigen dann besser kenne, fällt mir das Offline-Treffen deutlich leichter, als wenn ich unvorbereitet in die Situation geworfen worden wäre. Und wenn ich nicht physisch anwesend sein muss, sondern „nur“ akustisch oder schriftlich kann ich auch im Liegen mit dem Smartphone oder im Sitzen mit Laptop auf dem Schoß arbeiten, was die Anstrengung deutlich reduziert. Zu einem traditionellen 9 to 5 Job wie man ihn früher kannte, wäre ich körperlich gar nicht in der Lage.

Ich weiß auch von vielen anderen Menschen mit körperlichen Einschränkungen, die ohne Digitalisierung nicht da wären, wo sie heute sind. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist Glenda Watson-Hyatt, die aufgrund einer Cerebral-Parese sowohl motorisch als auch sprachlich stark eingeschränkt ist. Dank WordPress konnte sie sich eine Reputation aufbauen, und mittels Elektroscooter und Sprachsoftware auf ihrem iPad ist sie inzwischen als Speaker unterwegs.

Aber auch für alle anderen bringt die Digitalisierung Möglichkeiten, die es sonst nicht gäbe. So kann ich heute in Echtzeit über Messenger oder Skype mit Freunden und Verwandten in der ganzen Welt reden oder Projekte mit Kollegen am anderen Ende der Welt durchführen. Früher wäre das nur über furchtbar teure Telefongespräche gegangen. Ansonsten hätte man Wochen auf Briefe warten müssen.

Sabria:
Und das führt mich schon gleich weiter zu meiner letzten Frage: Wie sähe Dein Leben ohne digitale Medien aus?

Annette:
Die meiste Zeit vermutlich ziemlich einsam, da ich eben nicht mobil sein kann. Ich hätte mich wahrscheinlich wie in meiner Jugend aufs Schreiben von Briefen und von Geschichten beschränkt und die vielleicht weiter nur in Print veröffentlicht. Ich komme ja ursprünglich vom guten alten Zeitungsjournalismus und habe auch davor schon seit der Schule „analog gebloggt“: http://www.nettesite.com/2011/11/analog-gebloggt ;-) Die digitalen Medien haben das für mich erleichtert und meine Reichweite erhöht. Aber im Prinzip mache ich immer noch dasselbe. :-)

Sabria:
Liebe Annette, vielen Dank für das Gespräch!

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4 Gedanken zu „Interview mit Annette Schwindt: Nie da und doch dabei

  1. […] Viele kennen mich von Veranstaltungen, bei denen sich andere live treffen, ich selbst aber „nur“ zugeschaltet dabei bin. Sabria David hat mich deshalb für goethe-salon.de per E-Mail zum Thema digitale Identität interviewt. Das Interview kann nachgelesen werden unter http://goethe-salon.de/interview-mit-annette-schwindt-nie-da-und-doch-dabei. […]

  2. […] Sab­ria hat An­nette in­ter­viewt. Ir­gend­wie ge­fal­len mir die Ge­sprä­che der bei­den. Die­ses Mal geht es um vir­tu­elle und reale Kon­takte und wie An­nette es schafft, vir­tu­ell prä­sen­ter zu sein als viele Men­schen im so­ge­nann­ten ech­ten Le­ben. […]

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